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Der Sonnenfünkchen Erdenfahrt
„Liebe Mutter Sonne,“ sagten eines Tages die Sonnenfünkchen, „laß uns doch ein bißchen auf
die Erde hinunterspringen. Wir möchten gern spielen! Bitte, bitte!“—„Wir möchten gern im
Wässerchen pantschen,“ riefen die einen, und „wir möchten gern auf den grünen Blätterchen
tanzen,“ sprachen die anderen, und „wir möchten uns gern auf der Wiese lagern“, schrien die dritten
dazwischen, und noch andere wollten gern im Walde Verstecken spielen. Und so baten sie und bettelten, bis Mutter Sonne ihnen
ihren Willen tat. „Meinetwegen,“ sagte sie, „springt hin, aber hütet euch vor den bösen Riesen auf
der Erde da unten!“ „Ach, die werden uns schon nichts tun. Wir werden schon aufpassen,“ schrien die
Sonnenfünkchen durcheinander, froh, daß sie nun auf die Erde hinunter konnten. Schnell sprangen sie davon.
O, wie wunderschön war das auf der Erde! Da gab es große, weite Seen, in denen sie baden oder auf einem Blattkahn
spazieren fahren konnten, und die waren so klar wie ein Spiegel—und auf einmal schrien sie ganz laut vor Vergnügen,
denn sie sahen im Spiegel Mutter Sonne ihr rundes, freundliches Gesicht, das lachte sie so fröhlich an, und sie warfen ihm
tausend Grüßchen und Kußhändchen zu! Und da gab es plätschernde Bächlein, mit denen
hüpften sie über Stock und Stein und purzelten lachend durcheinander, um dann wieder lustig in die Luft zu springen.
Und grüne, schöne Wiesen waren auch da, auf denen sie Ringel, Ringel, Reihen spielten oder Purzelbäume schlagen
konnten; am allerschönsten aber wars im Walde, wenn sie an den Baumstämmen hinaufklettern und herunterhuschen konnten
mit den Eichhörnchen um die Wette.
Und alles, was auf Erden lebte, das freute sich an dem lustigen Spiele der Sonnenfünkchen; wohin sie kamen, hieß
man sie herzlich willkommen. Die Mücken veranstalteten ihnen zu Ehren gleich einen großen Ball, auf dem sie mit
ihren langen Beinen die zierlichsten Menuetts tanzten; die Vögelchen stimmten ein Konzert an, bei dem Frau Lerche und Frau
Nachtigall ihre allerschönsten Lieder sangen; selbst die großen, schrecklichen Ungeheuer, die Rieseneidechsen und
Krokodile, die so große Mäuler hatten, daß sie hunderttausend Millionen Sonnenfünkchen auf einmal
hätten aufessen können, blinzelten ganz vergnügt mit ihren Glotzaugen, wenn die Sonnenfünkchen ihnen ihre
schuppigen Panzer blitzblank putzten, und sogar Isegrim, der Brummbär, ließ sichs ganz behaglich gefallen, wenn sie
ihm seinen braunen Pelz kraulten.
Nur zwei waren gar nicht zufrieden mit ihnen, das waren die beiden bösen Riesen Rumpelberg und Rauscheflut. Denn
Rumpelberg hatte sich einmal zum Mittagsschlaf hingelegt, und wie er gerade im schönsten Schnarchen war, da hatten so ein
paar kleine übermütige Sonnenfünkchen ihn in der Nase gekitzelt; davon war er aufgewacht und hatte schrecklich
niesen müssen. Und wenn Rumpelberg nieste, dann klang s, als ob ein Gewitter losginge und im ganzen Lande hallte es
tausendfach wider, daß alle Vögelchen erschreckt aufflatterten und alle Tierchen angstvoll in ihre Höhlen
krochen, und wen Rumpelberg seine Fäuste schüttelte, dann zitterten die Berge und die Erde wackelte, daß alles,
was darauf stand, durcheinander kollerte. Die Sonnenfünkchen hatten seitdem schreckliche Angst vor ihm, den er hatte ihnen
Rache geschworen dafür, daß sie ihn im Mittagsschläfchen gestört hatten. Darum trauten sie sich nicht in
die Höhle, wo er wohnte; nur manchmal schlichen sie ein paar Schrittchen hinein oder guckten durch ein Fensterchen
hinunter—aber da war es so schrecklich dunkel und kalt, daß sie immer schnell machten, daß sie wieder
herauskamen.
Und Rauscheflut war ihnen auch gram. Der wohnte in einem schönen, gläsernen Schloß im Meer und hatte sein
besonderes Vergnügen daran, auf seinen weißen Rossen über sein weites Reich hinzujagen und mit den lieblichen
Meerjungfern und Wassernixen Haschen zu spielen. Aber seitdem die Sonnenfünkchen gekommen waren, wollten seine
Gespielinnen gar nicht mehr mit ihm herumtollen, sondern spielten viel lieber mit den lustigen, kleinen Sonnenfünkchen.
Das ärgerte ihn und er schwor, er wollte alle Sonnenfünkchen umbringen.
Da machte er sich eines Tages auf und besuchte seinen Freund Rumpelberg. Lange saßen sie beieinander und klagten sich
ihr Leid, daß die Sonnenfünkchen sie in ihrem schönsten Vergnügen störten, den einen in seiner
Mittagsruhe, den anderen in seinem Haschenspielen, und sie beschlossen zusammen, alle Sonnenfünkchen müßten
sterben. Aber sie wußten nicht, wie sies anfangen sollten. „Ich weiß Rat,“ rief auf einmal Rauscheflut;
„komm, wir wollen den Doktor Bazillus holen, der kriegts gewiß fertig.“ Doktor Bazillus aber war ein
schlimmer Zauberer und Giftmischer, freilich so winzig klein, daß Rauscheflut erst seine grünliche Brille aufsetzen
mußte, um ihn zu sehen, und Rumpelberg in seiner dunklen Höhle erst ein Licht anzünden mußte, um ihn zu
finden; aber er war der gefährlichste und gefürchtetste Zauberer auf der ganzen Erde. Er hatte hunderttausend ganz
winzige, kleine, spitze Nadeln, und wen er damit bloß ein ganz klein bißchen piekte, der mußte sterben. Der
sollte nun auch alle Sonnenfünkchen totpieken. Aber Doktor Bazillus konnte das nicht. „Seht,“ sagte er ihnen,
„das ist mein täglicher Ärger, daß die Sonnenfünkchen alle meine Arbeit zuschanden machen! Wenn ich
einen pieke, dann läuft er zu den Sonnenfünkchen, und die machen ihn wieder gesund. Nein, denen kann ich nichts
anhaben.“
Da wurde Rumpelberg so wütend, daß er beide Fäuste schüttelte. Und wie er so schüttelte, da bebte
die ganze Erde, und alle ihre Säulen brachen zusammen, und ein großer feuerspeiender, schwarzer Abgrund tat seinen
Rachen auf und verschlang den Wald, in dem die Sonnenfünkchen gerade spielten, und alles stürzte in die Tiefe; und
fiel auch Rauscheflut über sie her und deckte sie solange zu, bis sie alle erstickt waren. Da waren nun die armen
Sonnenfünkchen mausetot und tief, tief unter der Erde begraben und da schliefen sie einen langen, langen Todesschlaf, wohl
ein paar tausend Jahre lang.
Als Mutter Sonne hörte, daß ihre lieben Sonnenfünkchen tot waren, da war sie ganz, ganz traurig und hing
sich einen dicken, schwarzen Wolkenschleier vors Gesicht, wie das die feien Damen machen, wenn jemand gestorben ist, und weite
bitterlich, und ihre Tränen fielen auf die Erde. Auf der Erde aber war es so kalt und dunkel, seit die Sonnenfünkchen
tot waren, und Mutter Sonne ihre Tränen wurden zu Schnee und Eis, und die Blümelein krochen tief in die Erde, und die
Würmchen und Käferchen wühlten sich tief in den Schlamm und Sand, und die Tierchen zogen ihren dicksten Pelz an,
und die Menschen machten sich warme Kleider und alle dachten: „Ach, wenn wir doch die lieben Sonnenfünkchen wieder
hätten!“ „Wir wollen sie doch aus der Erde wieder herausholen!“ sagte der Maulwurf, und gleich fing er
an, mit seinen Schaufeln zu graben. Aber soviel er auch suchte, und wenn ihm schließlich auch vor lauter Suchen seine
Augen blind wurden, er fand sie nicht; Rumpelberg hatte sie ganz tief versteckt und einen steinernen Riegel vor die Tür
gemacht. „Den kriege ich nicht auf,“ klagte er.
Wir wollen dir helfen,“ sagten da die Menschen, und nun banden sie sich einen ledernen Schurz um und nahmen in die
eine Hand Hacke und Hammer und in die andere eine Laterne, und nun gruben sie tiefe Gänge in die Erde, und wenn auch
Rumpelberg sie mit seinem heißen Atem anhauchte und viele von ihnen totschlug sie drangen immer, immer weiter vor. Und
richtig, eines Tages fanden sie die Särge der Sonnenfünkchen ganz kohlrabenschwarze Särge, viele hunderttausend
Millionen, und da drin lagen die lieben, kleinen Sonnenfünkchen bleich und starr und kalt. Vorsichtig nahmen die Menschen
die schwarzen Särge und brachten sie hinauf auf die Erde; aber die Sonnenfünkchen waren und blieben tot. Sie hauchten
sie warm an, wie die Kinder die regungslosen Maikäfer aber sie regten sich nicht. „Wir wollen sie doch ans Feuerchen
stellen,“ sagte einer, „vielleicht erwärmen sie sich und werden wieder lebendig.“ Und richtig, kaum
standen sie am Feuerchen, da fingen die schwarzen Särge an, ganz rot und golden zu werden, und auf einmal gings: Knister
Knaster und ein Sonnenfünkchen nach dem anderen sprang lustig aus seinem schwarzen Totenbettchen und alle freuten sich,
denn nun wurde es so schön hell und warm, selbst mitten im Winter.
Aber es liegen noch viele hunderttausend Millionen Sonnenfünkchen in der Erde begraben, und darum steigen die Menschen
noch immer hinunter und holen ihre schwarzen Särge heraus.
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