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Von Heidelbeeren und Preiselbeeren

Einmal ging Prinzeßchen Waldtraut auf eine schöne Wiese spielen.
Ei, war das ein vergnügtes Völkchen, das sich da tummelte! Frau Schnake mit ihren langen Beinen hüpfte und
tanzte mit ihren Schwestern einen schönen Reigen, Blaustrümpfchen und Distelfalter spielten Haschen und alle ihre
Freunde und Freundinnen aus dem Schmetterlingsgeschlecht machten es ihnen nach. Bienchen und Hummel spielten Verstecken und
krochen bald in dieses, bald in jenes Blümleins Kelch; Frau Grille und ihr Chor sangen zusammen ein fröhliches
Sommerlied, kurz und gut, es war ein gar fröhliches Treiben.
Aber Prinzeßchen Waldtraut hätte zu gern Ball gespielt. „Hat denn niemand von euch einen schönen
Ball?“ fragte sie. Aber niemand hatte einen Ball bei sich. „Da wollen wir schnell einen kaufen gehen,“ sagte
sie zu ihrer Freundin, Prinzeß Heckenröschen; und nun gingen sie zu allen Kaufleuten im ganzen Waldreich, um
Bälle zu kaufen.
Zuerst kamen sie zu Herrn Storchschnabel. „Guten Tag, Herr Storchschnabel,“ sagte Prinzeßchen,
„haben Sie schöne Bälle zu verkaufen?“ „O ja,“ sagte Herr Storchschnabel, und holte aus
seinem Laden einen Ball heraus, der hatte einen ganz langen Schwanz. „Ist der nicht sehr schön?“ sagte Herr
Storchschnabel. „Ach, nein,“ sagte Prinzeßchen, „den kann ich nicht brauchen, der hat ja so einen
langen, spitzen Schwanz, da steche ich mich daran.“ Da gingen sie weiter zu Herrn Mohnkopf. „Guten Tag, Herr
Mohnkopf,“ sagte Prinzeßchen, „haben Sie schöne Bälle zu verkaufen?“ „O
gewiß“, sagte Herr Mohnkopf, und holte eine große, runde Büchse und machte ihren Deckel auf. Da lagen
viele kleine braune und schwarze runde Bälle drin. „Ach, das sind doch keine Bälle,“ sagte
Prinzeßchen, „die sind ja so klein, das sind man bloß Murmeln, die kann ich nicht brauchen.“
Nun kamen sie zu Frau Walderbse. „Guten Tag, Frau Walderbse,“ sagte Prinzeßchen, „haben Sie nicht
schöne Bälle zu verkaufen?“ „O natürlich,“ sagte Frau Walderbse und brachte eine lange,
schmale Schale. Da lagen grüne Dingerchen drin, die sahen aus wie Bälle. Aber als Prinzeßchen sie aufhob, da
sah sie, daß sie ganz platt waren wie Harzer Käse. „Ach nein,“ sagte sie, „die können ja
nicht schön kullern, die kann ich auch nicht brauchen.“
„Wo gehen wir aber nun noch hin?“ fragte Prinzeßchen ihre Freundin.
„Wir wollen doch mal zum Juden Veilchenfeld gehen, der hat gewiß welche,“ antwortete Prinzeßchen
Heckenröschen. Da gingen sie zu Herrn Veilchenfeld. „Guten Tag, Herr Veilchenfeld,“ sagte Prinzeßchen,
„haben Sie nicht schöne Bälle zu verkaufen?“
„Mit Vergnügen, Königliche Hoheit,“ schmunzelte Veilchenfeld, „wird mer sein ´ne
große Ehre, zu bedienen Königl. Hoheit.“ Und nun schleppte er eine ganze Kiste heran mit graubraunen
rundlichen Kugeln; die hatten aber auf drei Seiten solche dicken Nähte, daß Prinzeßchen sie gar nicht anfassen
wollte. Aber als sie es doch wagte und ein bißchen drückte, ob sie auch fest wären, da platzten die Nähte,
und alles, was drin war, kullerte heraus. Da machte Herr Veilchenfeld ein sehr verlegenes Gesicht aber Prinzeßchen war
den kaputten Ball weg. „Die kann ich auch nicht brauchen,“ sagte es und ging davon. Soweit sie nun auch noch
gingen, soviel sie nun auch fragten niemand hatte schöne Bälle.
Da ging Prinzeßchen nach Hause und weinte, daß sie im ganzen Waldkönigreich keine schönen Bälle
hatte finden können.

Als das der Waldkönig hörte, rief er seine Minister zusammen und hielt mit ihnen einen großen Rat, woher sie
für Prinzeßchen Bälle kriegen könnten. Schließlich wurde beschlossen, in der Zeitung eine
Bekanntmachung zu erlassen, daß alle Ballfabrikanten mit ihren Bällen kommen sollten, damit der Waldkönig
selbst die schönsten für sein Töchterchen aussuchen könnte. Und wer die schönsten hätte, der
solle Hoflieferant werden.
Kaum hatte das in der Zeitung gestanden, da kamen auch aus allen Ecken und Enden des Reiches die Fabrikanten angefahren, um
ihre Proben vorzulegen.
Zuerst kam Herr Holzapfel; der trat sehr bescheiden auf, hatte aber ein niedliches Töchterchen, das hieß Grete;
die sollte die Bälle dem Herrn König vorlegen, denn er meinte, dann würde sie der Herr König schon nehmen.
Freilich waren sie sehr hart, aber sie sollte nur recht weich sprechen, dann würden sie dem Herrn König schon
gefallen. So machte sie denn einen tiefen Knix vor dem Waldkönig und sagte: „Guden Dag, Herr Gönig.“ Aber
wie der König die Bälle anfaßte, waren sie doch so hart und so groß, daß er sie nicht haben wollte;
denn Prinzeßchen hatte doch so ganz kleine, zarte Händchen.
Da ging Herr Holzapfel traurig davon. Dann kam Herr Caddik; der war aus Ostpreußen gekommen und hatte
wunderschöne schwarzbraune Bälle mit einem blauen, weichen Sammetbezug. Die hätten dem Prinzeßchen schon
gefallen; aber sie rochen gar nicht schön, und sie sagte: „Pfui, die beißen ja!“ Aber Herr Caddik
meinte: „I nein, mein trautstes Marjallchen! Die sind doch goldig!“ Da nahm Prinzeßchen ein
Bällchen in die Hand, aber als sie es anfaßte, da ging der ganze schöne blaue Sammet herunter—da wars
auch mit Herrn Caddik seinen Bällen vorbei.
Nach ihm ließ sich Herr Quitsche melden; der brachte gleich einen ganzen Strauß von feuerroten Bällen, die
hingen alle an grünen, dicken Strippen und sahen ganz prächtig aus. Aber als Prinzeßchen sie anfassen wollte,
da bat er höflich, Prinzeßchen möchte doch recht vorsichtig damit umgehen, sie wären sehr zart; es
wäre am besten, sie hingen immer so hoch, daß niemand dran rühren könnte. Und richtig, als
Prinzeßchen einen Ball ein bißchen fest anfaßte, quitsch, da zerdrückte sie ihn da wars auch mit Herrn
Quitsche seinen Bällen nichts.
Zuletzt kam Herr Weißdorn; der hatte auch schöne rote Bälle, aber er hatte es ganz extrafein machen wollen,
und weil doch die Bälle für ein Prinzeßchen sein sollten, hatte er auf jeden seiner roten Bälle ein
richtiges schwarzes Krönchen draufgesetzt das sah ja nun sehr fein aus, aber natürlich konnten die Bällchen gar
nicht kullern was sollte da Prinzeßchen mit ihnen anfangen?
Das war nun aber ganz schlimm und traurig, daß auch die großen und berühmten Ballfabriken keine
schönen Bälle machen konnten.

Waldkönig war ganz böse. Aber wenn Waldkönig bei seinen Ministern keinen Rat fand, dann rief er seinen klugen
Meister Bimbam, der ihm damals bei Prinzeßchens Geburt die schönen Glocken gemacht hatte.
„Meister Bimbam,“ sagte er, „wißt Ihr denn niemanden, der schöne Bälle macht?“
„O ja, Herr Waldkönig,“ sagte Bimbam, „ich kenne zwei Brüder, die haben freilich keine
schöne, große Fabrik, wie die Herren Holzapfel und Caddik und Quitsche und Weißdorn; das sind ein paar ganz
arme Brüderlein, die haben nur eine ganz armselige Wohnung und eine ganz einfache Werkstätte. Das sind die
Brüder Beere, Heidel und Preisel.“
„Geh, hole sie mir her,“ sagte der Waldkönig.
„Aber sie haben keine schönen Kleider“, sagte Bimbam.
„Das tut nichts,“ erwiderte Waldkönig; der braucht noch lange nicht tüchtig zu sein, der ein schönes
Kleid trägt, und der noch lange nicht untüchtig, der ein armes Kleid anhat. Aufs Kleid kommts nicht an.“
Da rief Meister Bimbam die beiden Brüder. Und sie kamen ganz schüchtern und ängstlich, denn sie waren noch
nie beim König gewesen und wußten gar nicht, wie man mit einem König sprechen mußte. Ihre Bällchen
hielten sie ganz versteckt unter ihrem grünen Arbeitsanzug; denn einen besseren hatten sie nicht. Als sie nun so zum
König kamen, ganz bescheiden und demütig, und prahlten gar nicht mit ihren schönen Bällen, sondern machten
bloß einen tiefen Diener vor dem Herrn König, da fragte er sie: „ich habe von euch gehört, daß ihr
fleißige und brave Untertanen seid. Könnt ihr auch schöne Bälle für mein Prinzeßchen
machen?“
„Ach, Herr König,“ sagte da Heidel, „meine Bälle sind gar nicht sehr schön; bloß
blau. Aber ich habe kein Geld, um schönere Farben zu kaufen.“
„Und meine sind nur rot,“ sagte Preisel, „die werden dem gnädigen Herrn König gewiß nicht
gefallen; denn für ein Prinzeßchen müssen die Bälle doch golden und silbern sein.“
„Zeig sie nur einmal her,“ sagte der König. Da nahm Heidel sein blaues Bällchen ganz verstohlen aus
seiner Tasche und hielt es dem König hin und Preisel sein rotes.
Als aber Prinzeßchen die sah, da gefielen sie ihm so gut, daß es gleich sagte, die wollte es haben und keine
anderen, und die wären so schön, daß sie gleich hunderttausend Millionen davon alle Jahre für ihre
Freundinnen haben wollte. Da erschraken freilich Heidel und Preisel sehr, denn sie meinten, soviel könnten sie doch nicht
in ihren kleinen Werkstätten herstellen.
„Da will ich euch schon helfen,“ sagte der König, und befahl, daß im ganzen Reich Fabriken gebaut
werden sollten für die Brüder Heidel und Preisel. Die beiden Brüder aber wurden von ihm hochgeehrt und wurden
Hoflieferanten und bekamen die Firma:
Heidelbeere und Preiselbeere
Fabrik für Prinzeßchen Waldtraut
Ihre Spielbälle
Hoflieferanten Seiner Majestät des
Waldkönigs.
Und jedes Jahr liefern sie viele hunderttausend Millionen blaue und rote Bälle; die gehen in großen Körben
in alle Welt, und Prinzeßchen ihre Freundinnen bekommen jedes Jahr von ihr neue geschenkt.

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