nkunft im Dorf

Das Dorf unterschied sich unwesentlich von all den Dörfern, durch die ich schon gezogen war.  „Heee Alter!“ Damit war ich gemeint. „Nimm mir dieses Vieh aus dem Weg!“ Damit war Wolf gemeint.
Wie ich schon sagte, nur unwesentlich. In anderen Dörfer war ich Bruder, Trottel, alter Mann, Penner und Schlimmeres. Und Wolf hört sowieso nur auf mich.
Vor acht Wintern fand ich ihn an einem Baum, den Kopf zwischen den Pfoten, leise vor sich hin jammernd, er fror und hatte Hunger. Ich löste das Seil und steckte ihn unter meinen Umhang. Mehr konnte ich für ihn nicht tun, denn ich hatte nur noch ein paar Wurzeln, die er als unverdaulich einstufte. Nun waren wir also zwei. Zwei, die sich gegenseitig wärmten und  zwei, die Hunger hatten. Wie es das Schicksal so wollte, kam ich am Spätabend bei einer Köhlerkate vorbei. Ich bettelte für uns beide. Der Köhler schaute mich lange an, schaute auf den Welpen unter meinem Umhang, schaute mich an.
„Wo hast du ihn gestohlen, Alter?“
„Ich fand ihn angebunden an einem Baum und er fror.“
Und noch einmal schauten mich die amethystfarbenen Augen des Köhlers prüfend an.
„Du hast ein gutes Herz, Alter. Komm herein.“
Die Tür war nieder, ich musste mich etwas bücken um einzutreten. Innen brannte ein Feuer und es roch nach Kohlsuppe.
„Hier, setzt euch vor das Feuer. Du kannst von der Suppe haben, für den Wolf hab ich Milch und Brot. Für die Hühnerknochen ist er noch zu klein.“
So kam Wolf zu seinem Namen. Ja, es war ein ereignisreicher Tag, jenen Winter. Ich fand meinen Wolf und ich fand etwas über mich selbst heraus. Als Wolf und ich satt und warm waren, fragte mich der Köhler:
„Nun, Alter, was kannst du für Kost und Logis bezahlen?“ Ich erschrak, denn ich hatte nichts, was ich ihm geben konnte.
„Gib, was es dir wert ist und was du kannst.“
„Ich habe nichts, gar nichts. Nur Wolf.“
„Du hast weit mehr Alter—du hast schon viele Winter erlebt. Erzähl mir Geschichten. Erzähl mir von deinen Wanderungen.“ Nach einer Pause fuhr er fort. „ Meine Frau ist schon lange gestorben und ich habe nur noch Erinnerungen, an die ich mich häufig erinnert habe. Wenn du von dir erzählst, habe ich neue Erinnerungen. Und ich kann in der Erinnerung deine Geschichten erleben. Erzähle, Alter, erzähle.“
Viele Nächte saßen wir so vor dem Feuer. Als der Buchfink anfing sein Nest zu bauen, zogen Wolf und ich weiter. Seit jenem Winter in der Kate bin ich der Geschichtenerzähler.
Ich bin heute in eurem Dorf angekommen. Ich weiß nicht, ob ihr mich willkommen heißt, ich weiß nicht ob ihr den Hunger nach Geschichten habt. Ich ruhe mich jetzt etwas im Schatten der Ulme aus. Lasst mich eine Weile bleiben, ich erzähle euch zum Dank eine Geschichte.