Das Bild

Ich habe mir vor einiger Zeit ein Geschenk gemacht: Zeit.

Die ersten 30 Minuten eines Tages gehören mir, mir ganz alleine. Ich bleibe im Bett liegen, lege mir die Hände aufs Herz und schicke allen Reiki, die es möchten. Ich schicke es den Tieren, der Natur der Welt. Ich sage allen: "Kommt zwischen meine Hände und holt euch ab. Es ist unendlich da."

Wenn ich danach aufstehe, bin ich erfrischt und fit für den Tag.

Heute Morgen setzte sich dieser wohlige Zustand noch eine Weile fort. Ich träumte.

Ich wurde von einem Maler eingeladen, eine Ausstellung in einer großen Galerie zu besuchen. Er sagte "Komm vorbei, Rosie, ich habe ein Bild deines Lebens gemalt. Es beinhaltet deine Vergangenheit und deine Zukunft." Als ich zusagte, stand ich im selben Moment vor meinem Bild.

Nun, es beeindruckte mich überhaupt nicht. Ich sah nur jede Menge Farben. Blau, gelb, gold, rot, dunkelviolett. Enttäuscht drehte ich mich um und ging zum Ausgang. "Das soll mein Leben sein? dachte ich und drehte mich noch einmal um.

Wie angewurzelt blieb ich stehen. Auf einmal erkannte ich das ganze Bild. Aus der Entfernung betrachtet schloß es sich mir auf. Und nicht nur das! Aus der Entfernung sah ich, wie zum nächsten Bild eine fast unsichtbare Farbtupfenwelle sich erstreckte, wie diese Tupfen Teil des nächsten Bildes wurde, wie es von dem Bild zum nächsten ging, und zum nächsten und nächsten. Die Tupfen verließen den Saal und gingen über in den nächsten Saal. Ich sah, daß von allen Bildern wieder Tupfen zurückgingen, daß alle Bilder zusammen ein gigantisches Bild ergaben.

Und während ich alles in mich aufnahm, entdeckte ich aus der Ferne rechts unten einen blauen Farbfleck auf meinem Bild, der mich wie magisch anzog. Ich ging zurück, um diesen blauen Fleck näher zu betrachten. Als ich genau davor stand sah ich, daß in diesem tiefen Blau lauter goldene Tupfen waren, mal größer mal kleiner. Sie ergaben ein spiralförmiges Muster, das ich beim allerersten Betrachten überhaupt nicht wahrgenommen hatte.

Mein Maler kam an meine Seite. "Wenn du erkennen willst, dann brauchst du beides, Abstand UND Nähe. Häufig mußt du erst ein paar Schritte zurücktreten, ehe du das Ganze wahrnehmen kannst."

(c) Rosemarie Wiedmann