eine Reise ins Nichts

Auf meinem Rückweg ins Ulmendorf kamen Wolf und ich zu einer zauberhaften Lichtung. Laub- und Nadelbäume umschlossen sie wie liebkosende Arme. Der Anblick war so friedlich, dass wir uns zu einer Rast entschlossen. Ein Bächlein gab es zwar nicht, doch hatten wir noch genügend Wasser in dem Beutel.  Ich teilte mein Dörrfleisch mit Wolf und legte mich dann nieder zu einem Nickerchen. Es war wohl eine Reise, die mir Träume bescheren sollte.
Ich traf ihn, diesmal ganz in weißem Tuch gekleidet, unter einem Baum. Er saß dort regungslos mit untergeschlagenen Beinen, in sich versunken. Ich grüßte ihn ehrerbietig. Er berührte meine Stirn und sagte stimmlos: „Du wirst dich erinnern. Dies sind deine Bilder:

„Ein dunkelhaariger Mann in seinem weißen Gewand ging aufrecht die Straße entlang. Die Menschen säumten den Straßenrand und bewarfen ihn mit Unrat, spuckten ihn an, bedrohten ihn. Er aber schritt weiter, unberührt von ihrem Hass, unerreicht von ihrem Unrat.

Er schaute in meine Augen und sagte: „Du bleibst ebenso unberührt von dem, was dir Andere antun möchten, wie ich selbst. Sie werfen mit Schmutz nach mir und mein Gewand bleibt weiß. Sie speien mich an und erreichen nicht ihr Ziel. Sie bedrohen mich und ich bleibe ohne Furcht. Warum solltest DU dich fürchten, wenn dich ihre Taten nicht erreichen, du mit ihnen nichts gemein hast? Sieh in das Licht!“

Aus dem Licht formten sich Tränen, aus denen sich kleine Wolken bildeten, die sich wiederum in traubenförmige Blütenbüschel verwandelten. Ich sehe ein weiß-bläuliches Lichtwesen. Die Blütenbüschel werden zu langen Orchideen- Rispen, die mein helles ICH in den Armen hält. Es wendet sich um zu einem Mann, legt ihm eine Blüte auf die Brust und sagt: „Ich möchte, dass du in deinem nächsten Leben deinem Erfindungsgeist folgst und neue Wege gehst.“ Dann überreicht es wortlos eine Rispe an eine Frau. Sie umschließt mit großer Zärtlichkeit einen Blütenkelch, als wisse sie um die Kostbarkeit der Blüten. Im Weggehen sagt das Lichtwesen: „Die restlichen Blüten brauche ich für andere Menschen, die Hilfe auf ihrem spirituellen Weg wünschen.“ Es begibt sich an das Ufer eines Flusses.
Wie in einem Halbschlaf erkenne ich ein Boot, vollbesetzt mit mir unbekannten Menschen, das steuerlos auf dem Fluss treibt. Ich habe nichts als ein Seil, mit dem ich sie an Land ziehen kann. Meine Hände reißen auf und sind blutgetränkt, bis es mir endlich gelingt, das Boot an Land zu ziehen.
Kaum berührt der Bug das Ufer, da springen die Männer und Frauen an Land mit offenen Mündern, Schreie des Glückes ob der entronnenen Gefahr, Schreie, die meine Ohren nicht hören. Sie rennen an mir vorbei, als wär ich nicht existent. Verwundert nehme ich meinen weißen Freund neben mir wahr.

„So ist, wie es ist. Du wirst diesen Menschen helfen und keinen Dank erhalten. Der Lohn eines Engels ist nicht von dieser Welt.“
Ich erwache unter dem Baum, neben dem Weisen und erinnere mich an die Bilder. „Nun kennst du den Weg“, sagt er ruhig,

„Vergiss nicht, wer du bist.
Erinnere deine Mitmenschen.
Erwarte nichts.“

Das heißt, ich dachte, dass ich erwacht sei. Doch die feuchte Nase von Wolf belehrte mich, dass ich immer noch geträumt hatte. Nun war ich wirklich wach.
„Komm Alter, lass uns weiterziehen“, schien er mir zu sagen.

Die verbleibenden Stunden und Tage dachte ich oft an diesen Traum. Eigentlich vergeht kein Tag, an dem ich nicht an die Traumbotschaft denke. „Vergiss nicht, wer du bist. Erinnere deine Mitmenschen. Erwarte nichts.“