er Flötenspieler

Im Dorf hatte ein Fremder eine Rast eingelegt. Bei einem abendlichen Rundgang entdeckte er uns am Feuer und kam näher.
„Setz dich, Fremder“, wurde er von den Dörflern eingeladen. „Setz dich, der Geschichtenerzähler erzählt uns gerade die Geschichte des Flötenspielers!“
Der Fremde setzte sich mit ans Feuer und bekam einen Becher Gewürzwein.

„Der Flötenspieler“, erzählte ich nach der kurzen Unterbrechung weiter, „versprach den Elfen und Gnomen: „Ich spiele für euch, diesen Wald, den Wald der unerlösten Seelen. Ich spiele das Lied der immer währenden Liebe. Das Lied der Liebe, das die Angst besiegt.“
Die kleine Weidenflöte lag wie eine Feder in seiner Hand. „Woher nehme ich nur die Gewissheit, dass ich dieses Lied spielen kann“, zuckte kurz eine Frage durch seinen Kopf. Sein Herz lächelte und ermutigte ihn: „Spiele, Flötenspieler. Lass deine Flöte erzählen.“
Wie von magischen Fäden geführt begann er das Lied über den Sieg der Liebe. Die Töne verwandelten sich in Worte, die unsere Herzen verstehen. Die Flöte erzählte die Geschichte der Magier, die einst den Wald zur Heimstätte der verlorenen Seelen machten. Sie erzählte von den vier Druiden. Der eine stand für die Liebe. Der Zweite für die Veränderung. Der Dritte für den Bestand. Und der der Vierte—er stand für den Hass. Der schrille Ton der Flöte ließ den Wald erstarren.
„Fürchtet ihn nicht, den Hass“, singt die Flöte weiter. „Der Hass war in Wahrheit die Liebe, die größte Seele der vier Magier. Es brauchte seine Kraft, um das Werk zu vollenden, das Werk, eine Heimstätte für die verlorenen Seelen zu schaffen: die Wälder der verlorenen Seelen.“
Entsetzt schauten die Elfen und Gnomen auf den Flötenspieler.
„Wie kannst du nur so etwas sagen“, riefen sie durcheinander wie die Kinder.
Unbeirrt, als wäre er nicht von dieser Welt, spielte er weiter. Die Flöte beantwortete die Frage.

„Einst gab es nur das Eine,
das immerwährend IST.
Das Eins will von sich wissen,
was Eins-sein wirklich ist.

So nahm es von sich viele
und schickte sie hinaus.
Die einen wurden Steine,
Die anderen ein Baum.
Ein dritter wurde Wasser,
ein vierter gar ein Traum.
Ein fünfter, sechster, siebter,
die wurden Engelein.

Der Achte aber dachte
„das kann nicht alles sein.
Wie will ich mich erfahren,
wenn alles ist so gleich?
Wenn ständig ich dran denke,
wie s ist im Himmelreich.“

Er fragte sich als Vierter,
ob er sich helfen will,
als Eins sich zu vergessen,
(denn so ergäb sich Sinn)
als ACHT sich zu erfahren,
getrennt sein von ICH BIN.

„Wobei soll ich dir helfen“,
fragt Vier die Nummer Acht.
„Komm zu mir in den Träumen,
in meiner dunklen Nacht.
Wenn ich verloren gehe,
zweifle an jedem Sinn.
Dann komm zu mir und zeig mir,
mein Licht und mein ICH BIN“.

Der Handel war beschlossen
und alle zogen fort
ins große Spiel des Lebens,
an einen andren Ort,
erschaffen aus der Liebe
und doch das Gegenteil.
So lernten unsere Seelen
vom Eins „getrennt zu sein“.

Sie lernten Hassen, Lügen,
Kriege, Not und Pein,
Verfolgung, Hungersnöte,
Reichtum, Macht und Gier.
Sie lernten einen Glauben,
der heißt „im jetzt und hier“.
Sie lernten zu vergessen,
den Ursprung unseres Seins,
sie lernten zu vergessen,
wir alle sind das Eins.

Nun höret, Brüder, Schwestern,
der Flöte leichtes Spiel.
Sie singt euch von der Liebe,
sie singt „dort will ich hin“.
Was wirklich sie will sagen,
„Ich hab genug erlebt,
ich hab genug erfahren
von der „Dualität“.

Ich hab mein Licht gefunden.
Ich weiß heut wer ich bin,
und deshalb kann ich leben
als wär ich „dort schon hin“.
Ich habe mich entschlossen
zu bleiben noch in Zeit,
in jener festen Masse,
die ihr nennt Wirklichkeit.

Ich bring das Licht der Liebe
in meinem Flötenspiel.
„Erwache, Wald der Seelen,
in deine Helligkeit.
Ich bring das Licht der Liebe
das Licht der Ewigkeit.“

Die Melodie war zu Ende. Mit jeder Strophe kamen mehr und mehr unerlöste Seelen zum Flötenspieler. Als der letzte Ton verklang, sah er sich umgeben von Lichtwesen, die ihn durchdrangen. Er hörte in seinem Herzen ihren Jubel.
„Ja, Flötenspieler. Wir bleiben auch noch. Wir schließen uns dem Fünften, Sechsten, Siebenten an und ziehen durch die Wälder der unerlösten Seelen. Der Vierte löst sein Versprechen ein. Die Acht darf wieder liegen!“

„Ich höre die Melodie der Flöte, Geschichtenerzähler“, sagte der Fremde, der gerade an jenem Abend den Weg ans Feuer gefunden hatte. Ich spiele sie euch vor!“

Fast zärtlich griff er nach seinem Instrument. Er entführte uns mit seiner Melodie noch einmal in die Legende. Gebannt verfolgte ich das Flackern der Flammen, als die Melodie mein Herz berührte.

„Ich werde deine Geschichte auf meiner Flöte weitererzählen, Geschichtenerzähler“,  sagte der Fremde zu mir  als er aufstand, um im Schatten der Nacht unterzutauchen.