er Träumer

Die pudrigen Farben des Sommers weichen den klaren, satten Tönen des Herbstes. Das Licht scheint anders, wenn es Herbst wird. Selbst an Tagen, an denen die Sonne noch einmal mit ganzer Macht strahlt und uns zuruft „Seht doch. Ich bin noch da, bin nicht bereit zu weichen“, selbst an diesen Tagen spürst du, wie die kühle Nacht auf dich wartet.
Die Zeit der abendlichen Feuer ist wieder angebrochen, die Zeit des Träumens, des Verlierens in den Flammen. Feuer und Wasser, beides bringt meinen eilenden Geist zur Ruhe.
Wolf liegt langgestreckt neben mir und träumt, seine Hinterpfoten zucken im Schlaf. Das Feuer zieht mich in seinen Bann, lässt mich über das Träumen sinnieren. Traum und Wirklichkeit, wo habe ich darüber schon einmal eine Geschichte gehört?

Paulus! Aber natürlich, es war Paulus, Philosoph und Emissär, mein Schrecken und Freund der Sommersonnenwende. An jenem Abend in seinem Haus meinte er:
„Felix, lass mich vorlesen aus einem Buch, nur diesen einen Abschnitt, und sag mir, wie es dich berührt:
Diese Welt, in der du zu leben scheinst, ist nicht dein Zuhause. Und irgendwo in deinem Geist erkennst du, dass das wahr ist. Eine Erinnerung an Zuhause hört nicht auf, dich heimzusuchen, als gebe es einen Ort, der dich zur Rückkehr riefe, obschon du weder die Stimme wiedererkennst noch woran die Stimme dich erinnert. Und dennoch fühlst du dich wie ein Fremder hier. Es ist nichts Eindeutiges, so dass du mit Bestimmtheit sagen könntest, dass du hier ein Verbannter bist. Da ist nur ein beharrliches Gefühl, manchmal nicht mehr als ein kleines Pochen.“

„Wie es mich berührt. Es ist wahr, und es ist doch nicht wahr, Paulus. Wenn ich mich eins fühle mit der Natur, wenn ich mit Blumen, Bäumen, Kräutern rede, den Bienen oder Mäusen zuhöre, wenn mein Herz hört, sieht, riecht, berührt, schmeckt, betastet, ach, du weißt schon, dann ist es nicht wahr. Dann fühle ich mich nicht als Fremder. Dann bin ich zuhause, dann bin ich das Zuhause!“

Wir schwiegen Beide. Er wartete, ich fühlte weiter diesen Worten nach.
„Es gab eine Zeit, Paulus, in der ich meinen Körper als mich ansah. Damals fühlte ich mich als Verbannter. Es quälten mich die Bilder der Demütigung, der Schande, des Schmerzes, der Lieblosigkeit. Doch dieses Erlebte führte mich zu meiner Stimme des Herzens. Die Jahre der Einsamkeit und des Schweigens lehrten mich, hinter den Schein zu sehen. Aber das ist mein Weg Paulus. Andere finden den Weg über die Religion. Oder über Krankheit. Oder über ein Buch. Es ist richtig, wie es ist, Paulus!“

„Die Stimme. Dieses Buch, aus dem ich dir vorgelesen habe, ist auch eine Stimme. Eine weitere Metapher auf der Suche nach der Erleuchtung: das Erwachen aus einem Traum. Es sagt auch, dass das Licht in uns ist! Erleuchtung sei keine Veränderung, sondern nur ein Wiedererkennen.“
„Paulus, was findest du in diesem Buch, das du nicht schon hast? Was zieht dich in seinen Bann?“
Er lachte herzlich, aus vollem Halse.
„Felix, der Fuchs! Es zeigt einen Weg auf, das Ziel erreichst du durch das Erfahren des Weges. Es ist jedoch ein Weg, auf dem ich schon ein weites Stück gegangen bin. Was mich in den Bann zieht, ist die Bestätigung meines eigenen Weges. Ich finde mich dort wieder.“
„Paulus, der Denker! Felix, der Fuchs. Beide finden Verbundenheit mit dem Eins auf ihre Art. Du über die Bücher, ich in der Natur. Wenn ich mit Bäumen und Pflanzen rede, dann nicht in der Sprache der Menschen, es geht nur in der Sprache der Liebe.
Lass uns doch ehrlich sein Paulus. Erleuchtung heißt doch, gewahr zu sein, dass du selbst das Licht bist, nach dem du suchst. Wenn du dir dessen gewahr bist, hast du Angst überwunden, sorgst du dich nicht mehr über Krankheit und Tod. Dann weißt du, dass alles richtig ist, wie es ist. So einfach ist es!“
„Natürlich ist es einfach! Es braucht kein jahrelanges studieren der Bücher, keinerlei Übungen. Das weißt du jedoch erst, wenn du diese Wege schon gegangen bist. So lange du glaubst, du musst etwas anderes tun, als nur du selbst zu sein, so lange bist du eben ein Träumer, der sich nach dem Erwachen sehnt, oder ein Erwachter, der träumt, er sei der Träumer!“

„Hee Alter, bist du eingeschlafen“, wurde ich hoch geschreckt. „Komm lieber ans Feuer, wir haben Holz nachgelegt. Und erzähle uns eine Geschichte! Wir warten schon!“