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iebeskummer
Nicht alle Dorfbewohner gingen nach der Geschichte in ihre Häuser zurück. Eine junge Frau mit traurigen Augen
sprach mich an:
„Lieber alter, weiser Geschichtenerzähler, bitte gehe noch nicht. Du sagst, du hast die Liebe gefunden. Sag mir dann
auch, warum uns die Liebe so verletzlich macht.“
Liebe und Angst, es vergeht kein Tag, an dem ich nicht auf diese Geschwister treffe.
„Wenn wir verliebt sind“, versuchte ich mich in einer Antwort, „lässt unser Herz den Schutzschild
herunter. Damit trifft alles in vielfacher Wucht. Die schönen Dinge sind um ein Vielfaches leuchtender und schöner.
Und die nicht so schönen Dinge sind um ein Vielfaches schmerzlicher. Wenn wir lieben, sind wir nicht auf der Hut, nicht
vorsichtig. Wir machen unser Herz weit auf „Komm, komm, hier ist es warm!“ Und es kommen so viele, wie dein Herz
Platz hat aufzunehmen, weil dieses liebende Herz leuchtet, es leuchtet heller als jeder Stern am Firmament.“
„Aber weshalb suchen wir uns dann immer wieder diejenigen aus, die unsere Liebe am Wenigsten zu erwidern
wissen?“
„Ist das wahr, dass sie unsere Liebe nicht zu erwidern wissen? Kannst du wissen, dass das wirklich wahr
ist“, entgegnete ich mit meiner Gegenfrage. Denn wer kann schon wissen, was wirklich wahr ist, wenn wir über einen
anderen reden.
„Vielleicht wissen diejenigen um den Schmerz, den das Herunterlassen des Schutzschildes mit sich bringen kann. Und
vielleicht haben sie auch nur Angst vor der eigenen Verletzlichkeit.
Und so verletzen sie denjenigen, der sie liebt, in der Hoffnung, dass dieser sich zurückzieht, im Glauben, dass damit die
Gefahr für eigene Verletzungen nicht mehr besteht.
Und irgendwann erkennen sie vielleicht, dass sie sich damit selbst mehr verletzt haben, als das je ein Mensch hätte tun
können. Sie haben sich von der Liebe abgeschnitten, aus Angst, irgendwann eine „verlorene Liebe“ betrauern zu
müssen. Deshalb wählen sie, lieber nicht zu lieben. Ich habe viele Geschichten darüber gehört und selbst
viele Geschichten in diesem Glauben erlebt.“
„Und warum verletzen wir uns durch Sehnsucht immer wieder selbst?“
„Unsere Sehnsucht ist der Schrei nach unendlicher, bedingungsloser Liebe. Der Wunsch danach, geliebt zu werden, weil
man einfach ist. Liebe, die nicht verlangt: „Wenn dein Haar nicht schwarz ist, kann ich dich nicht lieben.“ Die
nicht fordert: „Wenn du nicht bereit bist, etwas an dir zu ändern, dann kann ich nicht glauben, dass du mich
liebst.“ Liebe, hinter der nicht der eigene Hunger steht nach dem, was der andere für einen tut.
Wir sehnen uns nach der Liebe, die wir alle in unserer Erinnerung haben. Denn diese Liebe kennt keine Bedingungen. Sie
ist, weil sie IST.“
„Geschichtenerzähler, ich höre was du sagt. Doch welchen Sinn soll das alles haben?“
„Diese Liebe findest du erst im Außen, wenn du sie im Innen gefunden hast. Du magst das vielleicht nicht
hören. Aber den Menschen, den du zuallererst bedingungslos lieb haben solltest, dem du ununterbrochen etwas Gutes
tun solltest, der dein uneingeschränktes Vertrauen verdient, den du nicht bemängeln, verurteilen, klein machen
solltest, dem du mit einem Lächeln am Morgen in die Augen schauen solltest und ihm sagst „Es ist schön, dass es
dich gibt“, das bist
DU, du ganz alleine.“
„Das verstehe ich ja, obwohl—ich gebe es ja zu, es fällt mir schwer, mich selbst zu lieben. Verliebtsein in
einen anderen Menschen ist so wunderschön. Doch was soll denn der Sinn sein dieses tiefen, warmen Sternenhimmels im Bauch,
der sich schlagartig in einen Dauerregen verwandelt, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen kann?“
„Ohne, dass du etwas unternehmen kannst—genau das ist der Sinn! Du erkennst deine Machtlosigkeit im Außen,
wenn dein Innen sich nicht annehmen kann. Wenn du verliebt bist und glaubst, deine Liebe würde nicht erwidert, dann
fühlst du dich hilflos, verzweifelt, drehst dich im Gedankenkreis, magst nicht mehr leben. Die Sonne hat ihren Glanz
verloren. Weil du glaubst, dass du die Liebe verloren hast.
Glaube mir, du kannst die Liebe niemals verlieren. Beginne mit dir selbst, dann erfährst du, was ich erfahren habe. Mein
Leben hat sich grundlegend geändert, als ich mir gestattet habe, mich selbst zu lieben. Mein Schrei „ich will
geliebt werden“ ging durch mich selbst in Erfüllung. Ich sehe heute in Zurückweisung nicht mehr den Verlust von
Liebe. Liebe und Verliebtsein, wie oft werden beide verwechselt. Liebe ist. Liebe braucht nicht, fordert nicht.
Oft höre ich die Klage; „Was mache ich nur? Er hat mich verlassen und ich kann nicht aufhören, ihn zu
lieben!“
„Freu dich doch“, tröste ich dann. „Freue dich darüber, dass du ihn immer noch liebst. Die Liebe
bereitet dir niemals Schmerzen. Du musst ihn doch nicht besitzen, um ihn aus ganzem Herzen zu lieben so lange du lebst und
über den Tod hinaus.“
Wenn du dich selbst lieben kannst, dann kannst du auch denjenigen in Liebe einhüllen, der dich zurückweist. Er wird
sich dann durch deine Liebe nicht bedrängt fühlen. Er fühlt, dass es selbstlos ist und nicht dem Zwecke dient,
selbst „geliebt werden zu wollen“. Und er nimmt diese Liebe an oder auch nicht. Denn es ist seine Wahl.“
Nachdenklich schaute sie mich an.
„Darüber möchte ich nachdenken! Danke, dass du dir die Zeit für mich genommen hast. Diese Fragen
beschäftigen mich gerade sehr.“
„Ich habe gerne meine Sichtweise mit dir geteilt. Schlafe gut heute Nacht und denke nicht so viel nach. Wenn du ganz
still bist und dein Kopf nicht alles übertönt, dann kannst du die Stimme deines Herzens hören. Dein Herz ist
dein bester Ratgeber, es kennt die Antwort auf alle deine Fragen.“
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