Der Philosoph

„Was nützt dir neues Schuhzeug, wenn du es mit Steinen an den Füßen anziehst?“
Beim Vorbeigehen an einem der Wagen hörte ich diesen Satz und blieb erstaunt stehen.
„Was meint ihr damit? Ich verstehe nicht“, erwiderte ein junger Bursche.
„Nun, du fragtest mich, ob dir meine Religion helfen könne, Erlösung zu finden. Ich habe dir mit einer Gegenfrage geantwortet. Die Steine an deinen Füßen sind dein Leben, deine Gedanken, dein Fühlen, Sehen, Hören. Das Schuhzeug ist meine Religion. Also, hast du eine Antwort?“
„Nein, ich habe keine. Ich werde darüber nachdenken.“
„Denke jetzt darüber nach, nicht in der Zukunft. Ich kann keine Antwort auf deine Frage haben, die Antwort liegt in dir selbst.“
„Was ist deine Frage?“ Er zeigte auf einen kleinen, älteren Mann in der ersten Reihe.
„Wieviel Götter gibt es?“
„Unzählige, zu denen die Menschen beten. Unzählige Rituale, Gebote, alle im Namen des einzigen Herrn, oder der einzigen Göttin. Alle beten zu dem Einzigen, der in vielen Gestalten erscheint.“
„Eine letzte Frage beantworte ich euch noch.“ Kaum hatte er diesen Satz ausgesprochen, als ein junger Bursche ihm laut seine Frage zurief:
„Wie groß ist das Universum?“
„Von welchem sprichst du?“
Mit dieser Antwort hatte er die Lacher auf seiner Seite. Er stand auf, verneigte sich und ging in seinen Wagen, dessen kleiner Vorbau ihm als Podium gedient hatte.

Schade, dachte ich mir. Dem hätte ich gerne noch eine Weile gelauscht. Ich ging weiter Richtung Markt, um meine Kräuter und Pilze einzutauschen.
„Was für ein Tag ist das heute“, dachte ich voller Begeisterung.
„Samstag, Alter“, bekam ich zur Antwort.
Ich lebe wohl schon zu lange im Wald und rede mit mir selbst. So was! Mein Kopfschütteln wurde als Antwort auf die Antwort gewertet.
„Doch, glaub mir, Alter. Ich weiß das! Heute ist doch die Sommersonnenwende!“
„Ich danke euch Herr. Danke“, sagte ich, um diesem Gespräch ein Ende zu bereiten, das ich gar nicht beabsichtigt hatte.
„Nichts für ungut, Alter, hab einen schönen Tag!“

Schön war der Tag der Sommersonnenwende. Die Sonne strahlte mit ihrer ganzen Kraft, zauberte Rot auf die Wangen der Kinder, die ungeschützt durch Hut und Schirm sich durch die Menschenmenge drängelten. Ihr fröhliches Gekreische übertönte das Stimmengewirr. Der Wasserverkäufer griff sich einen Jungen, streckte ihm zwei leere Krüge entgegen. „Geh, fülle die Krüge. Ich gebe dir auch eine Münze!“
„Waaaasser, schönes klares Waasser!“ hörte ich seine Stimme leiser werden, als ich um die Ecke gen Domplatz bog. Ich blieb auf den obersten Treppenstufen stehen, um den Anblick unter mir in mein Herz aufzunehmen. Hütte um Hütte, Stand um Stand, Wagen um Wagen drängten sich auf dem Domplatz. Ein Farbenspiel, das ich auf der schönsten Sommerblumenwiese nicht besser finden kann. Die Stimmen der Menschen klangen wir ein aufgeschreckter Hornissenschwarm zu mir herauf. „Muss-muss-muss“, ja ja, ich muss auch. Nämlich endlich meine Pilze und Kräuter eintauschen!
„Entschuldigt mich kurz, ich habe soeben die Kräuterliesel gesehen. Ich bin gleich zurück.“

Auf dem Marktplatz