as Geheimnis der Wunschzettel

„Warte Alter, ich hole uns noch einen Becher Gewürzwein, damit deine Kehle nicht austrocknet“, rief mein Gastgeber und verschwand eilig.
„So, komm, erzähl mir die Geschichte über das richtige Wünschen“, forderte er mich auf.

„Als du selig geschlafen hast, machte ich heute Nacht
einen langen Spaziergang durch den mondhellen Wald“, begann ich.

„Was? Bei der Kälte", unterbrach er mich. "Hoffentlich hast du dich dabei nicht erkältet, Alter. Wenn du krank wirst, kannst du gerne noch bleiben. Ach was, nicht nur wenn du krank wirst. Du kannst gerne bleiben, solange du willst. Aber nun erzähle doch endlich!“

„Der Wald ist im Mondschein besonders schön“, ging ich auf seinen Einwurf nicht ein, obwohl ich mich darüber freute. Das konnte warten. Alles der Reihe nach, zuerst die Geschichte.
„Der Wald ist im Mondschein ganz anders, als wenn die Sonnenstrahlen vorwitzig durch die Zweige und Blätter hindurch blitzen.
Ganz in die Betrachtung des Mondes vertieft hörte ich Lachen und Kichern, als würden tausend kleine Glöckchen auf einmal erklingen.
„Was machen denn die Elfen jetzt noch auf, weshalb schlafen die nicht“, fragte ich mich verwundert und ging auf die Stelle zu, aus der das Klingen kam.
Eine kleine Lichtung in Form eines Kreises war hell erleuchtet. Der Mond wurde unterstützt durch Glühwürmchen, die den Mischwald der Lichtung in helle Lichterbäume verwandelten. Es waren so viele Glühwürmchen, dass es immer hell war. Wenn eines nicht glühte, dann glühte das nächste. Es war wie das Aufleuchten von Sternen, nur viel heller. Inmitten der Lichtung saß ein alter Mann, um den die Elfchen herum tanzten. Welch ein lustiger Anblick! Jedes Elfchen hatte einen Zettel in der Hand, der bestimmt 10 mal größer war als das Elfchen selbst. Hast du schon einmal versucht, eine Decke hochzuhalten, die 10 mal größer ist als du selbst? So ging es den Elfchen. Doch im Gegensatz zu uns Menschen haben die Elfchen Flügel. DAS war es also, was ich als Glöckchen wahrgenommen hatte. Es waren die schnellen Flügelschläge der Elfchen, und natürlich auch ihr Gekicher, wenn die eine oder die andere durch ein eng beschriebenes Papier auf den Boden gezogen wurde. Schnell kamen dann drei weitere zur Hilfe, und zu viert wurde der Zettel dem alten Mann übergeben. Ich war so erheitert über dieses lustige Völkchen, dass ich einfach lachen musste!
Doch was hatte ich damit getan?! Schlagartig erloschen die Bäume, verstummte das Klingen und die Lichtung war wie jede andere eine Lichtung im Mondlicht. Immer noch eine wunderschöne Lichtung, die in ihrer Mitte immer noch hell erleuchtet war. Aber eben nur vom Mond.
Ich ging auf die hellste Stelle zu und setzte mich. Ich schloss die Augen und ließ mein Herz mit den Elfen reden. Ich wusste, dass sie mich hören. Ich hatte sie schon manches mal gehört und gesehen, oder zumindest gefühlt.
„Geliebtes Elfenvolk, verzeiht, wenn ich euer Treiben gestört habe. Ihr habt mein Herz entzückt, und ihr wisst, dass ich euch niemals etwas Böses tun würde. Nehmt mich auf in eure Mitte, ich helfe euch gerne mit den Zetteln!“
So saß ich und fühlte die Debatte, die zwischen ihnen und dem alten Mann hin und her ging. Da! Ein Glühwürmchen! Und da! Ja, dort auch! Allmählich wurden die Tannen und Laubbäume wieder zu Lichterbäumen. Als das letzte Glühwürmchen zum Leuchten kam, erschien der alte Mann genau mir gegenüber.
„Du willst uns also helfen. Ja, Hilfe kann ich wohl gebrauchen. In dieser Vorweihnachtszeit sind die Wunschzettel besonders dicht beschrieben. Ich brauche lange, bis ich sie alle gelesen habe. Kannst du lesen, Alter?“
Als ich nickte, erklärte er mir, was ich zu tun habe.
„Lass dir von den Elfen die Wunschzettel geben. Dann ....“
„Das müssen sie nicht, ich kann sie mir doch selbst vom Stapel nehmen!“
„Du verstehst nicht, Mensch! Ich weiß sehr wohl, dass du das kannst. Die Elfen jedoch reichen mir nicht nur die Wunschzettel, sondern sie ordnen alle Wünsche, die auf den Zetteln stehen. Wenn sie mir also einen Zettel reichen, dann ist der nicht mehr so, wie er geschrieben wurde.“
„Sie ordnen die Wünsche?“
„Ja. Sie ordnen die Wünsche nach dem Gefühl, in dem der Wunsch geschrieben wurde. Ehe ich es dir lange erkläre, beginne einfach damit, die Gefühle der Wunschzettel auf diese Stapel zu verteilen.“
Er deutete auf die vielen bunten Stapel um sich herum: gelbe, orangefarbene, rote, blaue, weiße, türkisfarbene, violette, graue, schwarze, hell-rosane und grüne.
„Am wichtigsten sind die hell-rosa und grünen Stapel. Das sind die Wünsche, die ich ganz sicher erfülle. Pass also gut auf, wohin du die Wünsche legst. Wenn wir durch sind mit ordnen, schaue ich mir die Wünsche nicht mehr an. Ich erfülle sie unbesehen. Wenn du also falsch ordnest, könnte damit ein Wunsch erfüllt werden, den ich sonst niemals erfüllen würde. Du übernimmst damit eine große Verantwortung, das ist dir doch jetzt klar?“
„Weshalb ist der hell-rosa Stapel so hoch und der grüne Stapel um so vieles niedriger?“
„Die Antwort kennst du doch selbst, Alter“, lachte er mir zu. „Schau doch genau hin!“
Ich fühlte mich in die Stapel hinein. Natürlich, aber ja doch.
„Die hell-rosa Stapel sind die Herzenswünsche der Kinder, die grünen die der Erwachsenen?“
„Du kannst mit der Arbeit beginnen, du hast verstanden.“

Als der Morgen graute, erwachte ich mitten auf einer Lichtung im Wald. Der Morgentau war gefrostet, jeder kleine Grashalm glich einem Wunderwerk. Wie durch Magie hielt mein dicker Umhang jegliche Feuchtigkeit meinen Knochen fern.
„Die hell-rosa Stapel sind die Herzenswünsche der Kinder, die grünen die der Erwachsenen“, erinnerte ich mich. „Das sind die Wünsche, die ich ganz sicher erfülle.“
„Weshalb erfüllst du diese bestimmt und von den anderen Stapeln nur manchen“, hatte ich ihn gefragt.
„Mensch, gib dir selbst die Antwort“, erwiderte er mir.
„Weil sie in dem Glauben geschrieben wurden, dass sie in Erfüllung gehen?“
„Du weißt doch alles, weshalb fragst du mich und nicht gleich dein Herz. Vertraue einfach seiner Antwort. Dann kannst du nicht fehlgehen. Frage dich: „Was würde mein Herz antworten?“ So erhältst du die Antwort auf alle deine Fragen. Das, Geschichtenerzähler, ist mein Geschenk an dich!“

„Und mein Geschenk ist, dass du den Winter hier verbringen kannst“, strahlte mich mein freundlicher Gastgeber an.